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In Your Face Friday - Ich steh auf...

karlstiefel 06.02.2015 16451 26
Sexualität in Videospielen gleicht oft einer Partie Topfschlagen in einem Mienenfeld. Überzeichnete Geschlechterbilder prägen das Medium nach wie vor, auch die zwischenmenschlichen Beziehungen werden dabei zu Karikaturen. Den drögen Klischees wird jedoch an manchen Stellen entgegengewirkt. Vielleicht braucht es aber ein als machohaft verschriehenes Medium, um die Berührungsängste endlich zu beseitigen.

Spiele sind schon was Geiles. Sie lassen uns in andere Welten eintreten, in denen wir spannende Abenteuer erleben können, ohne um deren Konsequenzen zu fürchten. Wir können in die Haut von anderen Persönlichkeiten schlüpfen und als diese agieren. Hier treffen manchmal zwei Vorgehensweisen aufeinander: Unsere eigene Agenda und die des Spiels. Als Pazifist hätte man es in einem Ego-Shooter beispielsweise schwer - das Spiel erwartet etwas von uns, was wir nicht in dessen Regelwerk umsetzen wollen.
Wirklich schwierig wird es aber erst, wenn die Agenda auf einer emotionalen Ebene unterschiedliche Ziele verfolgt - oder gar bei der Sexualität. Das "klassische" Bild hierzu ist für viele Leute wie ein Charakter-Bildschirm mit zwei Optionen: Du stehst auf Männer oder du stehst auf Frauen. Eigentlich sollte es aber wie bei der Charakter-Erstellung eines Rollenspiels sein, wo viele Aspekte zusammenspielen, um ein Individuum zu formen. Dementsprechend schwierig ist es für Menschen mit anderen Sexualitäten und Selbstbildern als die breite Masse, wenn es um den Umgang mit dieser geht. Hier werden Computerspiele aus mehreren Gründen interessant: Einerseits können sie ein sicheres Umfeld für diese Menschen bieten, als Repräsentation ihrer Orientierung etwas zu erleben, was wiederum Balsam für die oft angeschlagenen Egos sein kann. Andererseits gibt es Menschen wie mir die Möglichkeit, in die Fußstapfen von jemand anderem zu treten und die (digitale) Welt durch ihre Augen zu sehen. Wenn ich etwas Abstraktes wie eine Scheibe Brot sein kann, kann ich auch naheliegendere Charaktere eine Frau, ein schwuler Mann oder jemand zwischen den Geschlechtern sein. An technischen Beschränkungen kann es nicht scheitern, diese Option anzubieten - wo bleibt also der Conchita Wurst Simulator 2015?

Dass es keine starken Frauen in Videospielen gibt, stimmt mittlerweile nicht mehr. Die LGBT-Community (Kein Sandwitch sondern "Lesbian, Gay, Bi, Trans") ist seit 1986 in Computerspielen vertreten. Leider liest sich diese Liste größtenteils wie ein Who-is-Who der Nebencharaktere. Dabei wäre es mit Sicherheit interessant, einen Vertreter dieser Aufzählung zum Protagonisten zu machen. Denn die aktuelle Auswahl an LGBT-Charakteren ist einerseits überschaubar, andererseits wenig repräsentativ. Dass man mit einem gleichgeschlechtlichen Begleiter flirten kann, ist bereits eine interessante Möglichkeit. Was wirklich fehlt ist jedoch die Reaktion der Umwelt. Stellt euch vor, ihr findet zu spät heraus, dass euer stärkstes Gruppenmitglied homophob ist und euch aufgrund eurer Beziehung nicht mehr unterstützen möchte. Ein Schlag in die Magengrube, den reale Menschen täglich ertragen müssen.

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In Pokémon ist es einfach, für echte Menschen ist es aber nicht immer so simpel.

Sich dermaßen in jemand Anders hinein zu versetzen braucht aber mehr als das Ausborgen von deren Schuhe - egal, ob Sneakers oder Stöckelschuhe. Um ein realistisches Bild zu erstellen braucht es viel Recherche oder noch besser Erfahrung. Für Battlefield werden Soldaten als Berater engagiert, für Far Cry 4 wurde das Developer-Team nach Tibet geschickt. Einen dermaßen großen Aufwand würde sich ein Entwickler wohl kaum antun, wenn es um ein Tabuthema geht. Es liegt also bei den Vertretern der LGBT-Community, sich selbst darzustellen. Leider nehmen die nur selten eine Führungsposition in der Gamesbranche ein. Zum Glück gibt es mittlerweile die grundlegenden Entwickler-Tools für jedermann. Im Indie-Genre könnte vielleicht endlich das eine Spiel herauskommen, welches die Thematik verständlich und realistisch abhandelt. Es ist wie bei anderen Medien auch: Durch die Einbringung eines Themas steigt die Wahrnehmung, die Konsumenten setzen sich damit eher auseinander. So wird ein Teil der Gesellschaft an ein Thema herangeführt, welches weiter Wellen schlägt. Im besten Fall werden dadurch Meinungen gebildet, die weiter Kreise ziehen, ein Diskurs angeregt und im Endeffekt findet ein graduelles Umdenken statt.

Die Auseinandersetzung mit anderen Geschlechterbildern und Sexualitäten ist und bleibt ein schwieriges Thema - bei Spielen so wie in allen anderen Aspekten unserer Gesellschaft. Das mag unter anderem daran liegen, dass die angelernten Berührungsängste noch viel zu präsent sind. Andersartige Menschen, die ihre eigenen kulturellen Praktiken haben, sind für uns - und das beschränkt sich nicht auf die LGBT-Community - oft schwer zu begreifen. Mit Computerspielen haben wir aber vielleicht die Chance, in diese Menschen hinein zu sehen. Das wird hoffentlich nicht als Karikatur und basierend auf Vorurteilen geschehen, sondern durch die Augen einer solchen Person. Erst, wenn es hier eine Katharsis - eine Überwindung von Ängsten durch das Durchleben dieser - gibt, wird ein gemeinsamer Kurs eingeschlagen. Natürlich wird es immer noch engstirnige Leute geben, die das Ganze als "schwul" abstempeln und sich nicht weiter damit beschäftigen. Akzeptanz und Toleranz werden nicht über Nacht zum Standard. Viel mehr kann die vielseitige Präsenz einer gesprächsbereiten Minderheit graduell für Änderungen sorgen. Wir, als Gesellschaft, befinden uns bereits auf dem richtigen Weg. Spiele könnten nun einen weiteren Schritt hin zum gegenseitigen Verständnis ermöglichen. Vielleicht sehen wir uns ja in einigen Jahren als das, was wir alle sind: normale Menschen.

Wie schaut's aus - würdet ihr einen schwulen Protagonisten spielen, wenn er seinen Freund retten müsste? Hat die Sexualität überhaupt einen Platz in Videospielen? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!

Cloud Wurst ist nicht die einzige seltsame Darstellung der LGBT-Community in Spielen.
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