"Christmas - the time to fix the computers of your loved ones" « Lord Wyrm

In Your Face Friday - Die Hardware meiner Eltern

karlstiefel 22.08.2014 18883 45
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Früher waren ihre Rechner grau, jetzt sind es ihre Haare. Die Silver Surfer, betagtere Nutzer aktueller Technik, sind eine interessante Zielgruppe. Sie haben Zeit, Geld und Enthusiasmus - nur leider fehlt es ihnen oft an Erfahrung. Dann muss ein Digital Native her, der den Eltern erklärt, was Sache ist. Den besten IT-Support liefert halt doch immer die Verwandtschaft.

Sonntag. Essen bei meinen Eltern. Ökonomen können bestätigen: Es gibt kein kostenloses Essen. Jeder Business-Lunch kommt mit Erwartungen, jeder Besuch bei meinen Eltern ebenfalls. Statt einem Vertrag wird mir aber ein Smartphone vorgelegt. "Wie kriege ich meine Musik da rauf?" fragt mein Vater. Die Optionen strömen nur so aus mir heraus: Digitalisierung der unzähligen CDs, dazu nimmt man einfach den Windows Media Player, Kauf und Download von CDs via Amazon und der dazugehörigen App, Musik-Streaming via Spotify mit dem passenden Desktop-Programm. Die so simple Frage wird mit einer gigantischen Fliegenklatsche aus Antworten erschlagen - und doch schlüpft sie durch eines der übergroßen Löcher und steht noch immer im Raum. Spätestens da leuchtet mir ein: Es gibt keine einfache Antwort. Es gibt kein Programm, keine App, die den Musikgenuss wirklich einfach macht. Accounts und Passwörter, Downloads, Digitalisierung - Dinge, die meinen Vater schlichtweg nicht interessieren. Eigentlich möchte er es wie früher haben - einen Datenträger kaufen, in die Anlage stecken und Musik hören. Wenn es nur so einfach wäre.
Es ist nicht so, als ob ich nicht gerne den IT-Service/Berater spiele - immerhin haben die technischen Anschaffungen meiner Eltern mir erlaubt, mich mit Computern und Handys bereits in meiner Kindheit auseinander zu setzen. Den ersten Computer hatten wir 1997 im Wohnzimmer stehen, der Internetanschluss folgte knapp zwei Jahre später, ein Alcatel One Touch Easy mit Wertkarte hatte ich damals bereits. Nun ist es an der Zeit, das durch diese Möglichkeiten erworbene Wissen zurück zu geben.

Hier treffen jedoch die Welten eines Digital Native mit denen zweier Digital Immigrants aufeinander. Mit Wissen rund um Betriebssysteme auf Computern und Smartphones, Accounts bei gängigen Services und einer täglichen Nutzung der angebotenen Services stehe ich in der Mitte des Garten aus Apps, Programmen, Handys und Prozessoren. Nun schaut jemand über den bildlichen Gartenzaun und möchte beim Grillfest 2.0 mitmachen. Mittlerweile wissen meine Eltern, was ein Programm und eine App sind, dass Android und iOS (ja, und Windows Phone) Optionen beim Handy sind - nur ist ihnen das egal. Sie - und viele andere Menschen, nicht nur mit fortgeschrittenem Alter - interessieren sich nicht dafür, wie etwas funktioniert. Wichtig ist nur, dass es funktioniert. Sie möchten nicht ihr Handy/Tablet/PC mit dem gleichen Google-Account verknüpfen, sie wollen nur die Fotos und ihre Musik allen Geräten haben. Während man als Geek stets "Wie funktioniert das?" fragt und somit die Technologie an sich feiert, kümmern sich die Silver Surfer nur um die praktische Anwendung. Leider ist eben diese stark mit dem "Wie?" verbunden - um Musik auf dem Handy zu haben, muss man richtiggehend eine Kulturtechnik lernen. Die Begeisterung für neue Hardware geht in diesen Fällen meist mit einer begrenzten Lernbereitschaft einher. Verständlich, möchte die Nutzung des Gerätes selbst erst erlernt werden, ein Haufen neuer Vokabel prasselt auf neue Nutzer ein, die Ergonomie der Bedienung ändert sich im Gegensatz zu bekannter Hardware massiv. Kurzum: Der Weg bis zu dem Punkt, an dem neue Computer, Smartphones oder Tablets wirklich nützlich sind, ist noch immer zu lange.

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Vom Formfaktor her gibt es ja nicht soooo viel Unterschied.

Nun ist das Problem nicht neu und die unzähligen Hardware-Hersteller und App-Programmierer nicht auf den Kopf gefallen. Telefone mit großen Tasten gibt es schon lange, das Display dieser Geräte wurde entsprechend groß gemacht damit die rüstigen Benutzer nicht mit der Lupe nachhelfen müssen. So weit ist es bei meinen Eltern zum Glück noch nicht. Wenn sich ein älterer Mensch "traut" ein Smartphone in die Hand zu nehmen, gibt es die digitale Alternative zu den großen Tasten in Form eines Launchers bei Android-Geräten. Statt den kleinen Icons füllen dann klare Formen auf großen Schaltflächen den Bildschirm. In analoger Form gibt es das als Senioren-Handys, die mit Taschenlampe und Notfall-Knopf ausgestattet sind. Diese Ansätze gehen auf die Benutzer mit solchen Bedürfnissen ein, was halbwegs gut umgesetzt und auch absolut notwendig ist. Nun stellt sich jedoch die Frage, wie man diese Zielgruppe nicht nur mit angepassten Features beliefert, sondern sie auch zur Verwendung von Funktionen und Services bewegt. Hier scheitert das Prinzip der großen Symbole, die Softwareergonomie stößt an ihre Grenzen. Dadurch, dass Praktiken wie das Hören von Musik mittlerweile auf so viele verschiedene Arten möglich ist, scheint eine intuitive Nutzung noch weit entfernt. Obwohl sich die neuen Formen des Medienkonsums allgemein hoher Beliebtheit erfreuen, bleiben Neueinsteiger ohne Vorerfahrung auf der Strecke.

Wir sehen an dem Beispiel der Musik stellvertretend für viele andere, wie eine einfache Bedienung nicht einer einfachen Anwendung gleich kommt. Wenn man mit der Anwendung vertraut ist, verschafft eine elegante Bedienung schnell und einfach Zugriff zu den gewünschten Features. Es ist bekannt, welche Knöpfe gedrückt werden müssen - auch wenn diese im ausladenden Windows-95-Stil gehalten sind. Eine hübsche Benutzeroberfläche ist hingegen wie Overclocking für Casual-Gamer: Selbst die am schönsten entworfenen Knöpfe helfen nichts, wenn gefühlte 1.000 davon auf dem Display aufscheinen und wir keine Ahnung haben, was wir drücken sollen. Hier zeigt sich, dass Kultur eine gewisse Latenz hat. Es ist wie mit den Leuten, die heute noch in Schilling statt in Euro umrechnen. Obwohl es - bedingt durch die Inflation - keinerlei Relevanz mehr hat, ist die Macht der Gewohnheit doch stärker. Wehr weiß, vielleicht müssen unsere Kinder uns eines Tages eine neue Technologie erklären. Wahrscheinlicher ist aber, dass jemand, der in offenen Strukturen aufwächst auch neue Konzepte schneller adaptieren wird. Obwohl die Zahl der Internet-Ausdrucker konstant schrumpfen wird, darf das nicht mit unserer Geduld passieren. Für mich ist es schon fast zu einem Ritual geworden, meinen Eltern nach dem Essen etwas zu zeigen oder zu erklären. Es bringt uns zusammen und so wie ich einst von ihnen gelernt habe, lernen sie jetzt von mir - hoffentlich. Dass ich ihnen alles mehrfach sagen muss soll mich wohl bereits darauf vorbereiten, selbst Kinder zu haben.

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Weniger Optionen = einfachere Bedienung.

Wie schaut es bei euch aus - habt ihr Verwandte, die regelmäßig technische Unterstützung brauchen? Verwenden eure Eltern eine Smartwatch oder doch noch Lochkarten?
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