Der Herbst hat uns allen ein erstes, marktiefes Frösteln gebracht, der Weltfinanzmarkt liegt stöhnend am Boden. Ungeachtet dessen:
freie, quelloffene Software wird weiterhin entwickelt wie eh und je. Gerade zu Beginn der kühlen Jahreszeit erwarten uns
einige heiße Neuerungen, die keinen wichtigen Bereich des freien Desktops unberührt lassen und natürlich auch für Server und Co. eine Rolle spielen.
Mit Spannung erwartet wird der
Linux Kernel 2.6.27, den Linus Torvalds wohl in den nächsten Tagen freigibt. Darüber werden sich unter anderem Freunde der Video-Konferenz freuen: Der für
viele Webcams nötige Treiber
gspca wird in die offiziellen Quellen aufgenommen. Einige hundert verschiedene Webcams
funktionieren damit einfach
nach dem Einstecken mit beliebiger Video4Linux-kompatibler Software wie
aMSN oder
Kopete.
Für Embedded Linux interessant ist die erstmalige Integration eines
"Voltage and current regulation"-Frameworks, das es ermöglichen soll die Betriebsspannungen von verschiedenen System-on-a-Chip-Designs einfach und standardisiert zu regeln. Wenn sich das System durchsetzt, wird es vielleicht auch einmal bei der PC-Hardware Einzug halten, was Über- und Untertakter gleichermaßen erfreuen sollte.
Zu den vielen hundert kleinen aber feinen Änderungen zählen außerdem der
Block layer data integrity support, schnelleres Resume von AHCI-SATA-Festplatten, eine komplett neue, auf kdump/kexec basierende
Suspend/Resume-Architektur,
Verbesserung am Intel WiFi-Treiber (rfkill und Packet-Injection-Support), Unterstützung für jede Menge neuer onboard-Soundkarten, und vieles, vieles andere mehr.
Für den einige Wochen später zu erwartenden Linux
Kernel 2.6.28 angekündigt haben sich
Intels Graphis Execution Manager, kurz
GEM, der eine herstellerübergreifende Möglichkeit bietet
Speicher für GPUs zu verwalten. Davon erwartet man sich eine deutlich
gesteigerte Leistung bei 2D- und 3D-Operationen auf modernen Grafikkarten. Virtualisierungsbegeisterte werden kaum auf jene Patches warten können, die es dem
in Linux enthaltenen Hypervisor KVM ermöglichen, einzelne
PCI-Devices an Gast-Betriebssysteme durchzureichen. Erste Grafiktreiber werden ebenfalls auf
Kernel-based Mode Setting (KMS) migriert, wodurch der Linux-Kernel für das Umschalten der Auflösung zuständig ist, und der X-Server von dieser Pflicht entbunden wird.
Apropos X-Server: Das lang erwartete und
schier ewig verzögerte Release 7.4 von Xorg hat endlich seinen Weg aus den Versionskontrollsystemen gefunden. Die
Änderungen fallen im Vergleich zu Version 7.3
bescheiden aus, da es vor allem wegen des GEM einige Planänderungen in letzter Minute gab: Weder die
Direct Rendering Infrastructure 2 (DRI2) noch Multi-Pointer-X (MPX) haben die Aufnahme geschafft. Vor allem DRI2 dürfte den Nutzern bunter 3D-Desktops schmerzlich abgehen, hätte es doch die schon lange bekannten Probleme bei der Videowiedergabe gelöst, die bei aktivierten Desktopeffekten bestehen.
Release 7.5 ist uns noch vor
dem Jahreswechsel versprochen und wird von Intels Keith Packard koordiniert. Es soll unter anderem eine neue Beschleunigungsarchitektur mitbringen, die aber nur einen vorübergehend Auftritt haben wird. Sie soll auf GEM aufsetzen und Aufschluß liefern, wie man die aktuelle Architektur EXA verbessern kann. Man darf gespannt sein, wie lange es diesmal tatsächlich dauert.
Auch bei den Desktop-Frontends
KDE und
GNOME ist die Zeit nicht stehengeblieben - wir haben bereits über GNOME 2.24
berichtet. Das
KDE-Team hat die
fehlerkorrigierte Version 4.1.2 freigegeben, die unter anderem einen seltsamen Fehler beim
Löschen vieler Dateien beseitigt. Dadurch wird das Löschen außerdem
um Faktor 32 beschleunigt. Neue Features gibt es gegenüber Release 4.1.1 keine.
Für
Version 4.2 stehen unter anderem die Integration des
PIM-Frameworks Akonadi an, oder die Freigabe der
KDE-Entwicklungsungebung KDevelop. Wer will, kann natürlich den tagesaktuellen Quellcode aus dem SVN-Repository beziehen, und damit einen Blick in die nahe Zukunft werfen. Den meisten Stimmen im Netz zufolge laufen auch die inoffiziellen Vorabversionen schon außerordentlich stabil. Zudem sei auf das neu eröffnete
KDE-User-Wiki namens "Userbase" hingeweisen, das dem sehr erfolgreichen
Developer-Wiki "Techbase" nacheifert, aber natürlich mit Fokus auf den Endbenutzer.
Seit Mitte letzten Monats gibt es auch eine neue Alpha-Version des weniger häufigen Desktops
Xfce Version
4.6. Wie lange es hier noch bis zur fertigen Version dauert, ist noch nicht abzusehen.
Zu den Neuerungen bei den Distributionen zählen die Veröffentlichung der nächsten Ubuntu-Familie (
Ubuntu, Kubuntu und Xubuntu) als
8.10 Beta, sowie die Freigabe von
OpenSUSE 11.1 Beta 2. Auch die Beta-Version von
Fedora 10 soll hier nicht unerwähnt bleiben, denn die Änderungen unter der Haube sind beträchtlich: Der Paketmanager
RPM in Version 4.6 verspricht vergleichweise
blitzschnelle Paketinstallationen, und auch sonst tummelt sich lediglich topaktuelle Software, inklusive einiger
Technologie-Previews wie etwa KMS, die derzeit noch allein Fedora vorbehalten sind. Andere Distributionen werden diese erst in den kommenden Monaten integrieren, in der neuesten Auflage des von Red Hat gesponsorten Projekts. Nutzer
schwächerer Rechner sollten eventuell einen Blick auf die jüngste Ausgabe des kanadischen
VectorLinux werfen, das auch auf
altersschwachen PCs zur Hochform auflaufen soll.
Eine erwähnenswerte Entwicklung machte in den letzten Tagen
ExtSQL durch, eine
Fork des allseits bekannten Datenbanksystems
MySQL. ExtSQL bietet jetzt detailliertere Nutzungsstatistiken und taucht vielleicht schon bald bei den ersten Pauschalpreis-Webhostern auf.
Das beliebte freie Grafikprogramm
GIMP liegt seit wenigen Tagen in Version
2.6 vor, und bietet zum ersten Mal Unterstützung für die
Grafikbibliothek GEGL, die schon bald
nondestruktives Editing in beliebigen Farbräumen ermöglichen soll.
Ebenfalls auf Version 2.6 gebracht wurde die
Programmiersprache Python, die übrigens auch zum Steuern des GIMP-Plugin-Systems genutzt wird. Python 2.6 dient vor allem dazu, Entwicklern eine Möglichkeit zu geben, ihre Programme auf das
Python 3 vorzubereiten, das
in Kürze erwartet wird und auch unter dem Namen "Python 3000" bekannt ist.
Angesichts dieser Entwicklungen darf man gespannt sein, welche Überraschungen das Jahr 2008 noch in petto hat - die Aussichten sind jedenfalls vielversprechend.
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