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In Your Face Friday - Wer ist Alan Smithee?

karlstiefel 16.05.2014 13553 6
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Regisseure gibt es wie Sand am Meer. Einen Filmemacher wie Alan Smithee habt ihr aber noch nie erlebt. Seit den späten 60ern steht sein Name immer wieder in den Vor- und Abspännen unterschiedlichster Produktionen. Hollywood-Streifen, Fernsehfilme, Musikvideos - ein beachtliches Portfolio. Der Witz an der Sache: Niemand sonst wollte die Filme machen. Denn Alan Smithee ist der beste Lückenfüller der Welt.

Eigentlich hat Alan Smithee ja eine beachtliche Filmografie vorzuweisen. Sein Erstlingswerk, der Western Death of a Gunfighter war zwar kein Hit aber dennoch ein angesehener Genrefilm. Seine Mitarbeit beim Twilight Zone-Film kam durch eher traurige Umstände zustande, als drei Schauspieler bei den Dreharbeiten ums Leben kamen. Der AFK-Hacker MacGuyver verdankt Smithee nicht nur die Pilotfolge, sondern auch die Episode "The Heist". Beim Fernsehfilm Dune von David Lynch war er unter dem Namen "Judas Booth" für das Screenwriting zuständig. In den 90ern wechselte er mit Hellraiser: Bloodline nicht nur ins Horror-Genre, sondern war auch an der Pilotserie des Mighty Ducks-Comics beteiligt. Die Fernseh-Fassungen von Showgirls und Meet Joe Black wurden von dem vielseitigen Talent neu geschnitten. Seine Liebe zur Musik brachte ihn auf den Regiesessel bei einigen Musikvideos. Zu den Songs Heaven 'n Hell von Salt-N-Peppa, Maria von Blondie und Hunting for Witches von Bloc Party drehte er die Videos. Sein wohl bekanntestes Werk ist aber das Video zur Schmalz-Ballade I will allways love you von Whitney Huston. Sein bisher letzter Film wurde 2000 gedreht - Woman Wanted mit Kiefer Sutherland.

Alan Smithee hat nur ein Problem: Er existiert nicht. Bei keiner der genannten Produktionen hat der fiktive Regisseur tatsächlich mitgearbeitet. Stets war ein oder mehrere seiner real existierenden Kollegen mit dem finalen Produkt dermaßen unzufrieden, dass sie sich von dem fertigen Film distanzieren wollten. So geschehen bei Death of a Gunfighter, welcher zunächst von Robert Totten gedreht wurde. Nachdem sich der Regisseur jedoch mit der Crew zerstritten hatte, übernahm Don Siegel. Der fertige Film hatte die Handschrift von Totten, jedoch hätte Siegels Name in den Credits stehen sollen. Da keiner der Beiden das wollte, wurde von der Director's Guild of America das Alias "Alan Smithee" geschaffen. Der Platzhalter hätte zunächst "Al Smith" heißen sollen - ein Name, der aufgrund seiner Häufigkeit jedoch durch einen ungewöhnlicheren ersetzt wurde. Eine Theorie rund um den Namen besagt, dass er gewählt wurde weil er ein Anagramm von "The alias men" ist. Seither wurde Alan Smithee als stellvertretender Name genutzt, wenn die Schöpfer eines Filmes, einer Serie oder eines Videos sich von dessen Produktion distanzieren wollten. MacGuyver, Dune, Twilight Zone - stets zerstritt sich die Crew, das Drehbuch wurde zu oft geändert oder es fand ein zu starker Personalwechsel statt.

Ein jähes Ende für seine Karriere stellte der Film An Alan Smithee Film: Burn Hollywood Burn dar, der eigentlich von Arthur Hiller gedreht wurde. Die Kritiker gaben dem Werk eine schlechte Wertung, die Einspielergebnisse waren katastrophal - dem Produktionsbudget von etwa 10 Millionen Dollar standen Einnahmen von wenigen Zehntausend Dollar gegenüber. Dazu gab es nicht weniger als sechs goldene Himbeeren - darunter die "Auszeichnung" für den schlechtesten Film des Jahres. So wurde der erfundene Regisseur in den Ruhestand geschickt und durch seinen jüngeren und nicht sonderlich realeren Kollegen Thomas Lee ersetzt. Dessen Debüt Supernova steht jedoch ganz in der Tradition Smithees.

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Fahr zur Hölle Hollywood hieß der mäßig erfolgreiche Film, in dem Jackie Chan, Woopie Goldberg und Silvester Stalone Cameo-Auftritte haben.


Diese Persönlichkeit des Hollywood-Kinos wirft eine seltsame Frage auf: Kann etwas keinen Urheber haben? Dass ein Mainstream-Film mehrere Urheber hat, lässt sich nicht bestreiten. Einen Film des Kalibers Peter Jackson oder Michael Bay kann eine einzige Person nicht erschaffen. Wenn die Credits vorbei scrollen, sind hunderte Namen zu lesen. Was aber, wenn stattdessen der Platz auf der Leinwand schwarz bleibt?

Wir stehen hier vor einem Problem, welches es auch in einer anderen Form gibt. Durch die Zusammenarbeit, durch das Verändern von Inhalten und Ideen kommt es zu einem Endprodukt, an dem viele Fingerabdrücke haften. Bei den Academy Awards, der Oscarverleihung, gibt es deshalb auch zwei Kategorien beim Drehbuch: bestes Originaldrehbuch und bestes adaptiertes Drehbuch. Während bei der ersten Kategorie die Grundidee des umgesetzten Filmes gewürdigt wird, verdeutlicht die zweite Kategorie, dass ein Drehbuch erst dann fertig ist, wenn der Film in den Kinos läuft. Selbst dann gibt es noch nicht die definitive Version eines Werkes - Director's Cut sei Dank. Klassiker wie Blade Runner werden wegen den Versionsunterschieden sogar geschätzt. Bei einer solchen Vielzahl an Versionen und an Leuten, die an den fertigen Produkten mitgearbeitet haben, verschwimmt jegliche Grenze der Autorschaft. Das geht beim Pitch (dem "Verkaufsgespräch" einer Filmidee) los, streckt sich über die Produktion und geht hin bis zur Vorführung. Wenn im Kino die Tonspur nicht passt oder das Bild unscharf ist, wird das Filmerlebnis verzerrt. "Unser Film" ist nicht das, was die Macher schaffen und dem Publikum präsentieren wollten. Die unglücklich hinzugefügte Handschrift der Vorführung schreibt zwar nicht die grundsätzliche Handlung des Films, aber definitiv dessen Präsentation um. Unzählige Faktoren kommen hier ins Spiel. Die Filmemacher haben diese nur bis zu einem gewissen Punkt - der Auslieferung ihrer Filme - Einfluss darauf. Ab dann lässt sich ihr Produkt im Idealfall maschinell abspielen und die von ihnen konstruierte Kinoerfahrung immer wieder ähnlich reproduzieren. Alan Smithee ist die Gegenthese dazu. Ein Name, der dafür steht, dass das von den Machern angestrebte Produkt nicht mehr in ihrer Macht steht und wohl nie stand.

Im Endeffekt kommt es - egal, ob ein Werk entsprechender Größenordnung gut oder schlecht ist - zur selben Schlussfolgerung: DEN Urheber gibt es nicht. Entweder wollen zu viele oder niemand der Autor sein. Es werden zwar unterschiedliche Seiten der Medaille erreicht, es handelt sich aber trotzdem um das selbe Stück mit Goldfarbe besprühtes Blech.

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Wenn ihr das hier seht: LAUFT!
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