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In Your Face Friday - Samstag Morgen

karlstiefel 29.05.2015 13694 30
Lange schlafen ist toll - außer das Fernsehprogramm ist besser. Früh aufstehen zahlt sich leider nicht mehr aus, seitdem das Samstägliche Comic-Programm eingestellt wurde. Alleine die Melodien der Intros lösen einen Retro-Flash der Sonderklasse aus. Schauen wir uns also an, was die damaligen Highlights so toll gemacht hat und warum die aktuelle Generation an Kindern nicht das gleiche Erlebnis aber vielleicht doch etwas Tolles auf ihren Bildschirmen erlebt.

Auf dem Weg vom Bett zur Kaffeemaschine habe ich einen Jetlag, auf dem Rückweg zum Glück nicht mehr. Es ist ein morgendliches Ritual geworden, welchem ich quasi täglich fröne. Das hat etwas richtiggehend Beruhigendes - ich muss meine mentalen Kapazitäten nicht sofort nach dem Aufstehen beanspruchen, kann ein paar auswendige Bewegungsabläufe abspielen und die Welt wie sie gegen 8 Uhr ist auf mich wirken lassen. Dann, wenn dieser Realitätsabgleich abgeschlossen und die Kaffeetasse leer sind, kann der Tag los gehen. Ein solches Ritual hatte ich schon als Kind in den 90ern - ohne Kaffee halt. Die Aufputschmittel meiner Wahl waren damals Confetti TiVi und der Disney Club. Nirgendwo anders haben sich dermaßen viele für mich stilprägende Serien auf so dichtem Raum versammelt. Egal ob Tom Turbo, Darkwing Duck, die Power Rangers oder die Teenage Mutant Ninja Turtles - ein Mal pro Woche kam ich aus dem Staunen nicht raus.
Seither hat sich viel in der Fernsehlandschaft getan, das "Samstag Morgen Monopol" wurde zunächst gebrochen und schließlich aufgelöst. Aber der Reihe nach. Mit dem 1. Jänner 1997 nahm KiKa, der Kinder-Kanal, den Sendebetrieb auf. Der Gedanke, dass ein Kinderprogramm nicht nur auf einen Vormittag beschränkt war sondern rund um die Uhr läuft, wollte zunächst nicht in meinen jungen Kopf hinein - dort lief einfach immer "Zeug für mich". Zwar war das Programm ein anderes als auf ORF, RTL oder Pro7, die Zielgruppe - mich - hat es dennoch erreicht.
Nach und nach nahmen die Dinge ihren Lauf, alte Serien wurden abgesetzt, neue wurden stattdessen gespielt. Es ist wie beim Schiff des Theseus: Wenn man jede Sendung ersetzt, ist es dann noch der selbe Sender? Als die "Flaggschiffe" ihre Halbwertszeit überschritten und Platz für Neues gemacht hatten, habe ich die Interesse am "Kinderfernsehen" verloren. Meine Interessen waren auch nicht mehr die selben wie früher, was mich vor wenigen Jahren noch begeistert hätte, wurde schlichtweg belächelt. Man wird halt auch "erwachsen", oder was ich damals dafür gehalten hatte. Captain Balu gab das Steuer an Captain Picard ab, statt den Krang wurden die Goa’uld bekämpft. So ging es wohl nicht nur mir, die Samstag-Vormittag-Cartoons verloren subjektiv an Qualität und objektiv an Zuschauern. Deshalb stellte Kabel1 2013 als letzter deutschsprachiger Sender das Format ein.

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Meine Kindheit in einem Bild zusammengefasst.

Dass diese Perle der 90er nicht mehr zurück kommt ist klar, das erwarte ich auch nicht. Stattdessen bin ich froh, es erlebt zu haben. Das Nischen-Fernsehen hat damals auch einen anderen Stellenwert gehabt. Heute haben Kinder und Jugendliche andere Voraussetzungen, um ihre Art von Medienkultur zu entwickeln. Damals (tm) hatten wir nur den Fernseher als audiovisuelles Medium, mittlerweile hat das Internet eine ergänzende Funktion eingenommen. Statt einem fixen Zeitpunkt können die jungen Zuschauer ihre Serien schauen, wann und wie sie wollen. Fernseher, Computer, Tablet oder Handy - die Frage, wo geschaut wird, erübrigt sich. So genial das auch ist, die "geballte Awesomeness" geht dabei verloren. Die heutige Jugend wird somit um ein Ritual der Morgenunterhaltung betrogen.
Nun ist fraglich, ob solche Fixpunkte der Medienlandschaft wirklich wichtige Eckpfeiler der dazugehörigen Kultur sind oder ob die Retro-Brille das flimmernde Fernsehbild wesentlich schärfer aussehen lässt. Aber es sind meist nur kleine Sachen, die eine Generation von der nächsten unterscheidet. Keine Samstag-Morgen-Cartoons, dafür mit Handy, YouTube und Facebook ausgestattet - Kindheit und Jugend sehen heute anders aus als vor 20 Jahren. Verständlich und gut so, jede Generation verdient ihre eigene Identität - nur fällt wieder ein Anknüpfungspunkt weg. Schade ist, dass die Konsumenten nach uns nicht eine ähnliche Erfahrung jedes Wochenende machen darf. So hoffe ich, dass "die Jugend von heute" auch etwas hat, was sie so begeistert wie mich damals. Denn Freude kennt keine Zeit.

Ab in die 90er!
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