Musik und Videos gehören zusammen wie Montag Morgen und ein starker Kaffee. Doch wie kam es dazu? Genau dasselbe haben wir uns gefragt und die Geschichte des Musikfernsehens durchstöbert, von den bescheidenen Anfängen bis hin zu den nervigen Klingelton-Werbungen. Dazwischen liegt ein Trend, der massiv die Popkultur der vergangenen 30 Jahre geprägt hat. Welche Formen das Musikfernsehen seither angenommen hat und welche prominenten Gesichter auf
MTV, VIVA und Co ihr Debut feierten, lest ihr hier!
Die vier Jungs gehen auf die Bühne, im Publikum kreischen die Frauen während die Männer jubeln. Gitarren umgeschnallt, den Schlagzeughocker richtig eingestellt - nun folgt ein Hit dem anderen. Die Stimmung ist umwerfend, sogar vom neuen Album werden Lieder gespielt. Perfekt, denn dieses
Beatles-Konzert wird von der BBC mitgefilmt und an die Fernsehgeräte zu Hause übertragen. Das war zu Beginn der 60er aber auch schon das Höchste der Gefühle: Konzertmitschnitte im Fernsehen. Erst künstlerische Versuche wie der Comicfilm
Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band oder das “Musical”
A Hard day’s night konnte man als echte Musikvideos der Pilzköpfe beschreiben. Auch für einzelne Lieder wurden im Verlauf der Karriere Videos angefertigt, doch das Musikvideo an sich war noch lange nicht im Mainstream angekommen. Viel mehr konnten die damaligen Clips mit Fernseh- und Filmkunst verglichen werden. Ein gutes PR-Mittel waren sie trotzdem auf jeden Fall - sie brachten die Musiker näher zu den Fans, auch ganz ohne den Künstler selbst. Einen anderen Ansatz verfolgte die amerikanische Sendung
Soul Train. Sie feierte Musik wie R&B oder den namensgebenden Soul mit Live-Performances. Wie auch immer, Fernsehen und Popmusik sind dadurch sehr schnell Freunde geworden.
Soul Train war eine Musiksendung, bei der live getanzt wurde - Videoclips wurden nicht benötigt.1979 begannen die Produzenten
John Lack und
Michael Nesmith (ehemaliges Mitglied der Band "The Monkees") eine Musikshow namens
Popclips zu produzieren. Dieses wurde auf dem Kinder- und Jugendkanal Nickelodeon ausgestrahlt und nach einer Staffel wieder abgesetzt. Jedoch war das schnelle Ende der Show nicht auf einen Mangel an Erfolg zurückzuführen, sondern auf die durchwegs positive Reaktion des Zielpublikums. Die
Warner Music Group, von der Popclips produziert und finanziert wurde, gab dem Team hinter der Sendung nämlich grünes Licht für ein komplett neuartiges Konzept in dieser Richtung: einen vollständigen
Musiksender! Aus der halbstündigen Sendung sollte also ein ganzer Fernsehsender werden.
American Express, dem neuen Investor bei
Warner Music gefiel diese Idee, da für das aufkommende Satellitenfernsehen ein Mehrwert geschaffen werden musste. Als einer der ersten Sparten-Fernsehsender startete
MTV (Kurzversion von Music Television) am
1. August 1981 sein Dasein. Zu Mittag dieses Tages war auf dem Sendeplatz der Countdown zum Start des Columbia Space Shuttles zu sehen, unterlegt mit den Worten “Ladies and gentlemen, rock and roll!”. Nach den spektakulären Bildern des Raketenstarts zu einer bunten musikalischen Untermalung folgte das erste Musikvideo:
Video Killed the Radio Star von "The Buggles" (in dem übrigens Filmkomponist Hans Zimmer das Keyboard spielt!). Schon in den ersten Monaten wurden die Folgen des neuen Konzeptes spürbar: Dort, wo MTV empfangen wurde, verkauften sich die Alben der auf dem Sender gezeigten Künstler besser und viele Musiker begannen das Format “Musikvideo” ernst zu nehmen. Das war auch dringend notwendig, denn zu Sendebeginn hatte der Sender gerade einmal
168 Videos auf VHS-Kassetten in der hauseigenen Bibliothek. Auch hier waren viele Live-Aufzeichnungen dabei.
Während MTV in den USA auf Erfolgskurs war, entstand 1984 auch in Deutschland der erste Musiksender. Er hieß
Musicbox und wurde gemeinsam mit Sat.1 und neun weiteren Sendern im Zuge des Ludwigshafener Kabelpilotprojekts gegründet. Der im Großraum Ludwigshafen empfangbare Sender strahlte sein Programm zunächst nur zwischen 8 Uhr und Mitternacht aus, wechselte aber bald auf einen ununterbrochenen Sendebetrieb. Nachdem der Privatsender nach vier Jahren seines Bestehens die Investoren wechselte - zu denen auch
Silvio Berlusconi zählte -, wurde das Sendeformat umgestellt und der Sender auf
Tele 5 umbenannt. Dabei wurden jedoch die meisten Sendungen mitsamt den Moderatoren (unter anderem Werner Schulze-Erdel, der später das Familienduell moderierte) direkt übernommen. Nur die Musikredaktion machte sich davon, einige davon fanden sich Jahre später beim deutschen
VH-1 (Video Hits One) Ableger wieder.
Bevor VH-1 einen Ableger gründen konnte, musste es zunächst selbst gegründet werden. Das übernahm MTV, die im Frühjahr 1985 ihre Reichweite ausbauen wollten und dazu einen Musiksender von
Turner Broadcasting kauften und komplett umkrempelten. Während MTV damals ein etwas härteres Rebellen-Image anstrebte, sollte VH-1 eher ein Popsender werden. Eine enge Zusammenarbeit mit MTV in Sachen Musikauswahl und Programm folgte, auch die Expansion auf den europäischen Markt wurde gemeinsam durchgeführt. Zu seinem zehnten Geburtstag wurde VH-1 Deutschland gegründet - aufgrund mangelnden Erfolgs wurde das Programm jedoch 2001 bereits wieder eingestellt. In den USA erfreut sich das Original noch jeder Menge Beliebtheit.
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Das alte und das neue VH-1 Logo.Zwischen den ersten Erfolgen und der Expansion über den Atlantik lag jedoch noch eine Erfolgsgeschichte, wie sie nur MTV hinlegen konnte. Denn Kinder, die in den späten 80ern und den 90ern aufwuchsen, werden nicht umsonst
“MTV Generation” genannt. Immerhin hat der Sender den Musikgeschmack und die Medienkultur eben dieser Generation massiv geprägt. Neben dem Allgemeingeschmack bedienten auch Sendungen wie
120 Minutes oder
Headbangers Ball die Freunde der Rockmusik und ab 1988 zeigte man mit
Yo! auch Hip-Hop-Videos. Damals war diese Musikrichtung noch nicht einmal richtig im deutschen Sprachraum angekommen! Bei
MTV Unplugged gaben seit Ende der 80er zahlreiche Musiker ihre Hits in akustischen Versionen zum Besten. In der Show
Buzz Bin wurde Interpreten eine Plattform geboten, die von der Musikredaktion des Senders für den nächsten großen Hitlieferanten gehalten wurden. Die Auswahl - zu der Nirvana, die Gorillaz, Green Day und Rage Against the Machine zählten - gab dem Musikgeschmack der Redaktion recht. Um das Programm aufzufrischen, gab es zwischen den Videos oft Animations-Clips (denen später die Serie
Liquid TV gewidmet wurde) und Comics wie
Beavis and Butthead. Auch die Sendung TRL (Total Request Live) setzte 1997 neue Maßstäbe. Hier konnten die Zuschauer per Anruf mitbestimmen, welches Video als nächstes gezeigt wurde. Mit einer Mischung aus diesen ausgewählten Videos und passenden Gästen wurde das Studio am Times Square in New York stets mit Zuschauern gefüllt. Die englischsprachige Version von MTV war damals bei uns in diversen Kabelnetzwerken einschaltbar, doch sollte sich bald ein deutscher Konkurrent im Bugwasser der Erfolgswelle tummeln.
Das TRL-Studio am Times Square in New YorkIm Rahmen der
Popkomm Musikmesse wurde 1992 ein neues Konzept für einen spezifisch deutschen Musiksender gegründet - als Gegenpol zum amerikanischen MTV sozusagen. Der Projekttitel Videoverwertungsanstalt wurde zum kürzeren und knackigeren
VIVA abgekürzt und der Sendebetrieb startete mit
1. Dezember 1993. Um ein vielschichtigeres Programm bieten zu können, reichte man zwei Jahre später
VIVA Zwei nach. Während der eine Sender Pop der Kategorie “Boy/Girlband” verkörperte, versorgte der kleine Bruder
VIVA Zwei den alternativen Musikgeschmack. Zwar konnte MTV nie wirklich in Sachen Marktanteil eingeholt werden, doch die Wirkung auf den heimischen Markt war sensationell. Als Reaktion darauf wurden MTV und VH-1 lokalisiert (mehr dazu später), letzterer erwies sich jedoch als Flop und wurde 2001 wieder eingestellt. Besonders als Talentschmiede erwies sich VIVA immer wieder als ein solider Liferant für bekannte Gesichter. Schauspieler wie Heike Makatsch, Jessica Schwarz oder
Oliver Pocher, Nochimmer-Moderator Tobias Schlegl, die Autorin
Charlotte Roche und Unterhaltungs-Großmeister
Stefan Raab standen bei VIVA im Rampenlicht, als sie noch niemand kannte.
Die notwendigen Einschaltquoten brachten diese Namen jedoch nicht, so wurde
VIVA Zwei 2002 eingestellt und durch
VIVA Plus ersetzt. Ursprünglich sollten sich von den Zuschauern via SMS bestimmte Musikvideos mit Berichterstattungen aus London, Los Angeles, Berlin und Hamburg abwechseln. Wieder blieben die Zuschauer aus und die Korrespondenten wurden durch mehr Wahlvideos und Klingelton-Werbung ersetzt. Später kamen auch dubiose Call-In-Sendungen hinzu. Diese Änderung war auf den Kauf durch den Viacom Konzern (dem auch MTV gehört) zurückzuführen. Kaum fünf Jahre nach seiner Gründung gab der Sender auf, am 14. Jänner 2007 wurde der Sendebetrieb permanent eingestellt. Was das Schicksal von VIVA anging - da hatte MTV ganz eigene Pläne.
Das VIVA-Logo: Aus alt mach neu.Bis 1997 wurde MTV von mehreren Kabelfernsehen-Anbietern im Original übertragen. Zunächst im Pay-TV, bald aber auch im Free-TV wurde
MTV Germany etabliert, die deutsche Version des Senders. Kurz davor war auch der Tochtersender VH-1 in einer lokalisierten Version gestartet. Neben selbst produzierten Serien wurden auch Konzepte des amerikanischen Senders übernommen. Damit war es die erste lokalisierte Version von MTV, das deutsche TRL brachte es sogar zur erfolgreichsten Show seiner Art in ganz Europa. Leider schrumpfte der Musikanteil zu Beginn des neuen Jahrtausends zugunsten von Shows wie
Jackass oder
The Osbournes. Was sich damals noch als nettes Rahmenprogramm etablieren konnte, nahm bald überhand. Immer mehr Klingelton-Werbungen und billig eingekaufte US-Sendungen mit Untertiteln füllten die Sendeplätze. In Österreich tauchte 2002 deshalb ein ernstzunehmender Gegenspieler im deutschen Sprachraum auf.
GoTV wurde vier Jahre zuvor als Projekt einiger Studenten gestartet - damals war der Sender noch als
True Image Vision bekannt und nur bei einem Kabelanbieter in Wien verfügbar. Mit einem frischen Design und einem österreichweiten Sendeplatz wurde der Purismus gefeiert. Keine Moderatoren, keine Shows, keine Sendungen - einfach nur Musikvideos. Genial einfach ist
“hosted by”, bei dem Prominente eine Stunde lang die Musikvideos auswählen dürfen und gerne auch ein bisschen aus dem Nähkistchen plaudern. Bis heute gilt GoTV als Beweis, dass klassisches Musikfernsehen nicht tot ist. Ganz anders sieht das Catherine Mühlemann, Geschäftsführerin von
MTV Germany. Laut ihr würde ein solches Programm heute keinen Jugendlichen mehr vom Hocker reißen. Billig eingekaufte Shows wie
Jersey Shore anscheinend schon.
Der Anteil von Musik auf MTV ist erschreckend zurückgegangen.Nun befinden wir uns bald in der Gegenwart des Musikfernsehens. Während
Game One - eine wunderbar abgedrehte Spielesendung - MTV seit 2006 bereichert, steht es um die Eigenproduktionen nicht besonders gut. 2008 wurden zwei Sendungen abrupt eingestellt. Sowohl die Doku-Reihe
MTV Masters als auch die
MTV News mit Markus Kavka fanden aufgrund von Sparmaßnahmen keinen Platz mehr im Sendeschema. Auch TRL wurde eingestampft und durch
MTV Home ersetzt, welches mittlerweile auch nicht mehr produziert wird. Grund dafür ist der Wechsel ins
Pay-TV 2011. Dazu wurde der Schriftzug “Music Television” passenderweise aus dem Logo gestrichen, der Sendeplatz gewechselt und VIVA zu einer Free-TV-Recycling-Maschine umgeformt. Neue Inhalte werden zunächst auf MTV gezeigt, etwa eine Woche später findet man sie auf VIVA wieder. Parallel wurden die Ableger Brand New, HD, Music, Dance, Classic, Rocks, Hits und Live HD eingeführt, um für ein unterschiedlicheres Programm zu sorgen. Der Wechsel zum kostenpflichtigen Fernsehen sorgte also für weniger Werbung und ein besseres Programm. Auf MTV selbst laufen nun fast nur noch Shows ohne Werbeunterbrechungen. Statt Musikfernsehen muss man es jetzt allerdings als
Jugendfernsehen führen, das hat sogar die Chefebene des Senders zugegeben. Aber die Tatsache, dass MTV einst einen unübersehbaren Einfluss sowohl auf die Pop- als auch auf die Alternativkultur hatte, existiert heute nicht mehr.
MTV Masters und die News (beide Eigenproduktionen) wurden quasi über Nacht eingestellt.Ein Wandel ist geschehen, den man deutlich beobachten konnte. Viele haben es versucht, viele sind gescheitert. Heutzutage werden Musikvideos auf
YouTube angeschaut und auf Smartphones gespeichert. Catherine Mühlemann mag schon recht haben mit ihrer Aussage, doch weder MTV noch VIVA konnten wirklich den Anschluss an ihr Erfolgsrezept finden. GoTV hingegen setzt auf Altbewährtes, das reicht für ein kleines Publikum aber nicht für eine kleine Kulturrevolution, wie es MTV in den 90ern hinlegt hat. Medien und Musik ändern sich, das Publikum ist ein anderes und einst brillante Konzepte wirken mittlerweile angestaubt und überholt. Vielleicht werden wir in ein paar Jahren zurückschauen und “das goldene Zeitalter des Musikfernsehens” vor lauter Notalgie loben. Dann fällt uns wieder die Klingelton-Werbung ein und wir gestehen, dass genauso wie fast jede große Band auch einmal ein mittelmäßiges Album herausgebracht hat, auch das Musikfernsehen einmal einen Durchhänger hatte. Gönnen wir MTV einfach den Rückzug und VIVA die Rolle als Fernseh-Gegenstück zur mittelmäßigen Cover-Band. Man darf auf ein Comeback hoffen, und dass es irgendwann wieder heißt
“Ladies and gentlemen, rock and roll!”.
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