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Die Gratis-Gesellschaft

karlstiefel 08.07.2011 50248 43
0 Euro
Freeware, Piraterie, free2play-Spiele - wir sind es mittlerweile schon gewohnt, Inhalte kostenlos zu erhalten. Aber woher kommt die Gratis-Gesellschaft eigentlich? Welchen Einfluss hat sie auf die Industrie und - wohl am wichtigsten - was bringt sie uns?

Ich zahl doch nicht für sowas ...



Wenn ihr diesen Artikel lest, kostet es euch nichts. Er ist also gratis. Aber eine Weisheit besagt „There is no such thing as free lunch“ – irgendwer zahlt immer. Wie kann es also sein, dass ihr nicht diejenigen seid, die dafür blechen müssen? Nun, im Endeffekt zahlt ihr ja für diese Zeilen hier, bloß eben nicht direkt. Außer ihr habt ein overclockers.at Geek Package, dann zahlt ihr natürlich etwas in dieselbe Kasse ein, bekommt dafür aber auch eine direkte Gegenleistung. Eine davon ist beispielsweise die Möglichkeit, die Werbebanner zu deaktivieren. Hat man also einen normalen oder gar keinen Account und keinen Popup-Blocker, sieht man die Reklame auf der Seite. Durch eure reine Anwesenheit und idealerweise durch das Anklicken der Banner wird ein kleiner Betrag für den Betreiber generiert. Das Geld geht an den werten Herren mat, der seinen fleißigen Mitarbeitern wiederum einen Obolus für ihre Arbeit zukommen lässt. Um hier herzukommen, braucht ihr auch eine Internet-Anbindung, eine Stromleitung und ein Gerät, welches die Inhalte wiedergeben kann - Computer, Smartphone und dergleichen. Das alles habt ihr bezahlt, um schließlich hier zu landen. Gratis gibt es eben nicht.

Sehen wir aber einmal ab von den Anschaffungs- und laufenden Kosten, dann sind doch eine Menge Dienste für euch kostenlos. YouTube, Facebook, Wikipedia, Google, Twitter – keine dieser Seiten möchte von euch für die Verwendung Geld sehen. Auch Programme wie Skype, zahlreiche Virenscanner, Steam oder Open Office sind kostenlos. Sogar ganze Betriebssysteme könnt ihr für lau bekommen! Aber wie kam es zu dem Umstand, dass dermaßen nützliche Produkte und Services einfach so verschenkt werden? Drehen wir die Uhren zurück: Wir schreiben das Jahr 1999. Ein gewisser Shawn Fanning bastelt ein Peer2Peer-Programm in seiner Studentenbude und benennt es nach seinem eigenen Spitznamen, Napster. Die Auswirkungen der illegalen Tauschbörse auf alle digitalen Medien waren enorm. Plötzlich konnten Musik, Filme und Software in bisher unbekannter Einfachheit heruntergeladen werden. Man suchte nach einem Begriff – in meinem Fall war die erste Suchanfrage „Anton aus Tirol“ von DJ Ötzi ... ich bin halt cool! – und in ein paar Minuten war die begehrte Ware auf dem eigenen Rechner. Dass die Download-Kultur der Musik-Branche so massiv schaden würde, hätte keiner der Benutzer (2001 waren es 80 Millionen) damals gedacht. Es folgten massig Klagen, unter anderem von der Metal-Band Metallica. Acht Jahre später sollte die Funktionalität von Napster in dieser Form komplett eingestellt werden, es folgten jedoch ähnliche und bessere P2P-Alternativen wie LimeWire, Morpheus, BearShare (alle auf Gnutella-Basis, mmmhhh Nutella!), BitTorrent oder das sehr erfolgreiche KaZaA und sein FastTrack-Network. Zwar wurden die Services auf Gerichtsbeschluss mit mehr oder weniger funktionierenden Filter-Funktionen ausgestattet, doch die Wirkung war unumkehrbar. Das Zeitalter der Piraterie für die Massen war angebrochen und dieses Mal waren es nicht Grog saufende Freibeuter oder Aschenbecher-tragende, verpickelte Nerds, sondern die süßen Mädels aus der Nachbarschaft, von denen man so etwas nie gedacht hätte. Willkommen im 21. Jahrhundert!

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Shawn Fanning und sein Napster: Diese beiden Gesichter haben unsere moderne Medienlandschaft verändert.


Dieses offiziell verachtete Prinzip eines Musik-Downloads wurde Jahre später für iTunes und Konsorten übernommen - manche mehr und andere weniger erfolgreich. Um diverse Tauschgeschäfte mit den heruntergeladenen Lieder zu vermeiden, wurden die Daten mit einem DRM-System (Digital Rights Management) versehen. So musste vor dem Abspielen eines Liedes zuerst die Lizenz vorgewiesen und überprüft werden, was teilweise sogar eine Server-Verbindung zum jeweiligen Anbieter erforderte. Wer also beim weniger erfolgreichen Service seine Lieder und Alben gekauft hat, stand schnell mit leeren Händen da. Illegale Downloads hingegen hatten keinen DRM-Schutz und obwohl die Qualität oftmals zu wünschen übrig ließ, waren sie noch immer die bessere Alternative zu den stark geschützten und problematischen Verwandten. Dennoch wehrten sich die Plattenfirmen verzweifelt und kamen von Zeit zu Zeit auf glorreiche Ideen. Zum Beispiel gestalteten sie ihre Alben so, dass diese nur mit einem auf der CD vorhandenen Player wiedergegeben werden konnten. Ein fataler Fehler für eine stets größer werdende Zielgruppe, die ihre Musik auf einem MP3-Player haben wollte. Diese zwang man so nämlich auch noch dazu, auf illegale Downloads zurückzugreifen. Verkaufssteigernd war ein solches Vorgehen also sicherlich nicht.

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So klobig er auch heute aussieht, der iPod prägte das vergangene Jahrzehnt.


Debby does Dallas? Debby does Download!



Aber genug von der Musik-Industrie. Andere Medien litten genauso unter dem neuen Trend, wie zum Beispiel Filme. Dass Hollywood massiv bluten musste, war klar. Doch die meisten Klagen gab es von einer anderen Art von Film. Ihr wisst schon, die mit den ausgezogenen Leuten, die sich umarmen und in horizontaler Lage tanzen. Während diese Branche früher ihre Vertriebswege mit Magazinen und Filmchen hatte, stand sie plötzlich vor einem enormen Problem. Da der Erwerb von freizügigem Material mit einer gewissen Schamgrenze verbunden war, trauten sich viele potenzielle Kunden nicht in die einschlägigen Geschäfte. Doch plötzlich konnte man sich angenehm in seinen eigenen vier Wänden so viel „Ab 18“-Material herunterladen, wie man wollte. Dumm waren die Geschäftsleute natürlich nicht und schnell wurden Mittel und Wege gefunden, die neue Art von Nachfrage zu bedienen. Es begann die Ära der Dialer – Programme, die eine kostenpflichtige (und oftmals sehr teure) Verbindung anwählten, um "weitere" Inhalte einer Schmuddel-Webseite anzeigen zu können. Wie es so oft der Fall ist, ließ sich der Mensch nicht lange bitten und betrieb jede Menge Schindluder mit diesen Dialern, die nicht selten von diversen Viren und Würmern heimlich im Hintergrund gestartet wurden und die Telefonrechnung der Eltern vervielfachten. Heute ist die Situation noch kniffliger – diverse Video-Portale wie YouP**n, xhamster oder RedTube bieten tausenden Stunden an kostenlosen Kurzfilmchen an. Oft sind die Filme sogar von diversen hochrangigen Pornoseiten hochgeladen worden, um als kostenloses Lockmittel zu fungieren. Der Rest besteht zum Großteil aus illegal hochgeladenem Material und einigen wenigen Amateuren, die sich abfilmen, um sich nachher an der Anzahl der Views aufzugeilen. Wie auch immer, Hauptsache es ist gratis.

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Dieses Bild dürft ihr nur mit einem overclockers.at-Erwachsenen-Account sehen.


Damit sind wir schon in der Gegenwart angelangt. Das vergangene Jahrzehnt wird uns als die Zeit im Gedächtnis bleiben, in der das Internet groß geworden ist. Heute, zum Beginn einer neuen Dekade, spüren wir die Folgen der unmittelbaren Vergangenheit nirgendwo so stark wie beim Medienkonsum. Wir sind es gewohnt, dass uns keine direkten Kosten für die grundsätzlichen Funktionen von Web-Diensten entstehen. Videos schauen wir auf YouTube, soziale Kontakte verwalten wir auf Facebook und Wissen erwerben wir auf Wikipedia – nach getaner Arbeit sind wir keinen Cent ärmer. Aber ist das jetzt gut oder schlecht? Es ist anders, so viel ist klar. Ein Ruck ging durch die Reihen der Industrien und änderte die Art, wie wir Medien konsumieren komplett. Im Karpfenteich war plötzlich ein Hecht, der die lahmen Fische auf Trab hielt. Die Anbieter wurden zur Innovation gezwungen. Wer nicht mitmachte, blieb auf der Strecke. Und was bedeutet das für uns als Konsumenten?

Dialektischer MateriWAS?



Wir sind ja verwöhnt. Kriegen all diese tollen Sachen geschenkt, sodass täglich Weihnachten in unseren Festplatten und Browsern ist. Das prägt natürlich, denn solche Privilegien führen zu bestimmten Erwartungen. Der Marktwert von digitalen Medien ist inflationär gesunken und Gratis-Alternativen haben auch eine bisher unerreichte Qualität erlangt (siehe overclockers.at!!1). Obwohl selbst ein legales, kostenloses Angebot von einer illegalen Version eines Markenproduktes übertroffen wird. Was glaubt ihr, ist mehr auf Privatrechnern installiert – Linux oder ein gecracktes Windows XP? Holen wir hier mal weit aus und begeben uns auf das philosophische Gebiet des dialektischen Materialismus. Wartet, noch nicht abschalten, das ist einfacher als es sich anhört! Karl Marx hat nämlich einst gesagt „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Der aktuelle Zustand fördert also eine gewisse Auseinandersetzung des Einzelnen mit seiner Umgebung. Oder stark vereinfacht: Der Umstand, dass es Gratisangebote gibt, erzeugt eine Erwartung der Kunden. Und bald stellt sich die Frage „Wieso kostet X eigentlich etwas, wenn Y doch gratis ist?“

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Was hat Kommunismus mit dem Inhalt deiner Festplatte zu tun?
Karl Marx wusste es damals schon!


Nach diesem philosophischen Wandertag sind wir bei uns selbst angelangt – Selbstfindung leicht gemacht. Was bedeuten die Änderungen der letzten zehn Jahre, die aktuellen Umstände und der gesellschaftliche Umgang mit diesen für uns? Genau zwei Dinge: Möglichkeiten und Verantwortung. Uns werden einfach so massenweise Werkzeuge, Plattformen und Kommunikationskanäle in die Hände gelegt, mit denen wir Medien konsumieren, aber auch erzeugen und verbreiten können. Auch die Nachricht an die Industrie, dass ihre alten Methoden einfach nicht mehr zeitgemäß sind, ist mittlerweile doch angekommen. Denn es liegt an uns, ob wir ein Produkt, das uns wirklich gefällt unterstützen oder ausnutzen. Deaktiviert also mal bei Seiten, die euch gefallen den Adblocker. Geht auf Konzerte von den Bands, deren Alben ihr heruntergeladen habt und kauft euch dort ein T-Shirt. Wenn euch die gecrackte Version 3 eines Programmes gefallen hat, warum nicht die Version 4 kaufen? Und holt euch doch endlich die Special Edition vom Spiel, das ihr jetzt schon drei Mal durch habt. Euer Handeln zählt und das mehr als je zuvor.
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