“I can has cheezburger?” steht unter dem Foto einer süßen Katze. Die Kombination aus Stubentigern und grammatikalisch falschen Sätzen wurde zum Internet-Hit. Zunächst gab es einen eigenen Blog über diese Memes, bald ein ganzes Netzwerk. Schnell wurden betextete Bilder zu einem beliebten Running Gag in Internet-Foren. Auf die Vierbeiner folgten bald Comicfiguren und sogar Menschen, die so unverhofft zu einer enormen Bekanntheit kamen. Memes gab es aber schon vor dem Internet - und zwar in allen Bereichen des Lebens.
Es ist der 1. April 2008 und ich schaue auf YouTube. Direkt auf der Startseite findet sich ein Video eines Interpreten, den ich neulich gehört habe. Da mir die Musikauswahl somit abgenommen wurde, klicke ich das Video an … und es ist ein Rickroll. Als “Rickroll” - für die, die den Begriff nicht kennen - bezeichnet man einen Internet-Witz, bei dem man das Musikvideo zu dem 80er Jahre Hit “Never gona give you up” von Rick Astley verlinkt und dem potenziellen Opfer ein anderes Video verspricht. Je größer das Versprechen, umso besser. Denn tatsächlich landet man nur bei dem musikalisch eher neutralen Song, den man ohne diesen Witz wohl längst vergessen hätte. Aber wie hat sich dieser Trend so stark etabliert, dass sogar YouTube - die Plattform, die ein fundamentaler Teil des Rickrolls ist - diesen Witz am 1. April bei seinen Besuchern anwendet?
Der Bereich der Memetik ist wohl einer der Fächerübergreifendsten in den Geisteswissenschaften und sogar darüber hinaus. Geprägt wurde der Begriff von Richard Dawkins, seines Zeichens Biologe. Er definierte in seinem Buch “The Selfish Gene” (1979) das Mem als soziales Gegenstück zum Gen. Denn wie Gene können Memes sich verbreiten und mutieren. Bei diesen Permutationen setzt ähnlich wie in der Genetik auch ein selektiver Prozess ein. In diesem darwinistischen System überleben die Stärkeren, während die Schwachen auf der Strecke bleiben. Im Klartext: Wenn ein Mem beliebt (stark) ist, wird es oft kopiert und kommt so in den Wissens-Pool einer Kultur. Unbeliebte (schwache) Memes werden oft nur als Insider-Witz verwendet und erreichen daher nie Massentauglichkeit. Sprachlich wurde “Meme” (wie es im Englischen geschrieben wird) von dem Wort “Gene” abgeleitet. Mit Bedeutung angereichert wird es durch mehrere ähnliche Wörter in anderen Sprachen. So ist “même” Französisch für “gleich”, “memor” lateinisch für “bedenkend” und “mimeisthai” Griechisch für “nachahmen”.
Aber wie genau lässt sich ein Mem definieren? Zunächst wird eine Grundlage oder ein Vorgänger benötigt. Dabei reicht ein Bild, ein Wort oder etwas Ähnliches. Diese Basis muss leicht erkennbar sein. Professor Farnsworth aus
Futurama wendet sich stets mit einem freudigen “Good news, everyone!” an seine Angestellten, nur um ihnen direkt danach katastrophale Neuigkeiten zu erzählen. Diese Wiederholung ist für das Mem sehr wichtig, da es in verschiedenen Situationen stets gleich bleibt. Es ist also auch einfach austauschbar, erzeugt jedoch stets eine Erwartungshaltung. Weiters erklärt sich das Mem durch wenige Beispiele einem Außenstehenden idealerweise selbst - wenn nicht, kann jemand der damit vertraut ist, dem Neuling das Meme meist einfach erklären. Denn Memes haben stets einen speziellen Zweck und/oder eine klare Aussage. Dies setzt jedoch eine “soziale Einigung” voraus - alle Anwender des Memes sollten es zur Etablierung gleich einsetzen. Später kann durch eine unerwartete Mutation die antrainierte Erwartungshaltung gebrochen werden.
Diese Definition ist bewusst schwammig gehalten - denn Memes beschränken sich nicht auf Fernsehserien oder Internet-Bilder. Das wohl bekannteste Feld der Memes ist die Sprache selbst. Wir sprechen allesamt Deutsch - sonst würdet ihr mit diesem Artikel ja denkbar wenig anfangen können. Würde ich diese Zeilen in einem 200 Jahre alten Deutsch schreiben, hättet ihr mit dem Lesen Probleme. Durch Lautverschiebungen, grammatikalische Änderungen und sogar der unterschiedlichen Aussprache von Buchstaben (ganz zu schweigen von der damaligen Schrift) hat sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten viel mit der deutschen Sprache getan. Einzelne Wörter sind aufgetaucht, andere verschwunden, wieder andere haben neue Bedeutungen bekommen. Das war schon immer so - im großen wie im kleinen Rahmen. Selbst heute sehen wir solche Sprach-Memes. Als der Musiker Jimmy Hendrix die Textzeile “Excuse me while I kiss the sky” sang, erwartete er wohl kaum, dass viele seiner Fans “Excuse me while I kiss this guy” verstehen würden. Da dieser falsch gehörte Text so prominent die Runde machte, kam die Mutation irgendwann bei dem Urheber selbst an. Folglich sang Hendrix öfters zum Spaß die falsche Textzeile und versuchte anschließend, den Bassisten seiner Band zu küssen. Dass die Mutation, das Mem, beliebter sein muss als das Original, ist also auch Voraussetzung.
Verständlich erklären kann das ein einfaches Experiment, welches die Systematik von genetischen Mutationen veranschaulichen soll. Dafür malt man einen geraden Strich und bittet jemanden, diesen nachzuzeichnen. Natürlich können die wenigsten Leute einen perfekt geraden Strich zeichnen, daher entstehen leichte Abweichungen. Der Strich ist jedoch noch zu erkennen. Nun bittet man eine weitere Person, den Strich des Vorgängers nachzuzeichnen. Es wird nun nicht mehr der erste (gerade) Strich kopiert, sondern die Version der ersten Person - mehrere Generationen entstehen. Wird dieser Prozess mehrere Hundert Mal wiederholt, formen sich kleinste Unebenheiten zu markanten Merkmalen aus. Der Strich wird zur Kurve und teilt sich. Gibt man eine Version des Striches an zwei Personen weiter und führt das Experiment fort, wird mehrere Generationen später nicht mehr dasselbe Bild vorhanden sein. Genau so entstehen in der Genetik verschiedene Spezies - durch Mutation, die weitergetragen wird. In der Memetik läuft das nicht anders ab. So haben beispielsweise die finnische und die ungarische Sprache dieselben Wurzeln - in der Praxis werden ein Finne und ein Ungar ohne Sprachkenntnisse der jeweils anderen Landessprache kaum viel zu reden haben.
Der größte Kritikpunkt an der Mem-Theorie ist jedoch die erwähnte Ähnlichkeit zu der Genetik. Denn so ähnlich sie der biologischen Vervielfältigung von Erbinformation auch ist - das Mem ist doch nur ein Gedanke und keine DNS-Sequenz. Obwohl die Mechanik hinter der Reproduktion und den daraus resultierenden Abweichungen ähnlich erscheint, ist das replizierte Produkt nicht gleichwertig. Gedanken können sich wandeln, werden von Trends beeinflusst und eine spontane Neuschöpfung ist möglich. Ein neuer Witz kann ohne Vorlage entstehen, während eine neue Spezies ohne Ahnen nicht einfach so auftaucht. Dementsprechend genießt die Mem-Theorie auch eher einen gemischten Ruf. Die Genetik kann mit empirischen Mitteln arbeiten - also mit nachweisbaren, wiederholbaren Versuchen. Diese Nachweise kann die Memetik nicht liefern.
Die Stärke der Memetik wird somit zu ihrer Schwäche - denn wir machen aus Memes, was wir wollen. Wir können Sprache, Religion und Katzenbilder so verwenden, wie wir es für richtig halten. Ein solches Verhalten sorgt für die Mutationen, welche Kulturen auf lange Sicht ändern können. Genau darum lässt sich das Mem aber auch nicht genau definieren. Es ist keine abgeschlossene Einheit, sondern ein schwammiges Konzept.
Nichtsdestotrotz sind Memes praktische Einheiten, um weitverbreitete Ideen zu erfassen. Eine genaue Definition ist aufgrund der Wandlungsfähigkeit sehr schwer bis nicht möglich. Das Forschungsfeld ist nicht wirklich jung, und wie erwähnt wenig etabliert, doch durch die starke Verwendung in der Netz-Kultur hat sich eine neue, klarer definierbare Version des Memes gebildet. Sie vereinfachen die digitale Kommunikation, indem sie die Aussage klar machen. Durch die etablierte Erwartungshaltung weiß man, was der Poster ausdrücken möchte. Der eigentliche Informationsinhalt ist austauschbar. Aber ganz ehrlich - brauchen Katzenbilder wirklich noch eine Nachricht?
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