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In Your Face Friday - Remember the 90s?

karlstiefel 24.07.2015 12280 17
Retro ist etwas Wunderbares: Wir blicken mit einer rosaroten Brille auf die Vergangenheit und suchen uns die besten Teile davon heraus. Ab wann die positive Vergangenheitsbewältigung wirklich greift, sehen wir an den 90er-Jahren. Seither hat sich viel getan - genug, um von einer anderen Zeit zu sprechen. Schauen wir uns also an, warum das Jahrzehnt so nah und doch so fern ist.

Es ist wie verflucht. Wenn jemand sagt "vor 10 Jahren", muss ich eine kognitive Leistung erbringen, um nicht an die 90er zu denken. Dabei ist 2005 ein Jahrzehnt her. Wir haben Call of Duty 2 gezockt, ein Frosch mit Klingelton war in den Charts und Star Wars ging mit Episode 3 in die damals letzte Runde der neuen Trilogie beiden Filme. Die 90er wirken so nahe und doch so fern. Damals gab es kein YouTube, kein Facebook und kein overclockers.at. Für den Großteil des Jahrzehnts gab es nicht mal Internet in den meisten Haushalten. Das sollte sich in meinem Elternhaus 1999 ändern, die erste eingegebene URL war Giga.de - die gibt es in der damaligen Form auch nicht mehr. Selbst das Ende der 90er wirkt ewig her. Natürlich bin ich bei der Thematik befangen - schließlich habe ich meine Kindheit in der Epoche verbringen dürfen. Aber bei Retro geht es schließlich nicht um eine objektive Analyse einer Zeit, sondern um die emotionale Bindung zu dieser. Da ist Befangenheit ein Teil des Pakets.
Ab und zu packt mich dann der Retro-Flash, ich schaue mir Serien-Intros der 90er an und beklage mich, dass es Serien dieses Formats kaum noch gibt. Klassiker wie Darkwing Duck oder die retrospektiv etwas trashig wirkenden Power Rangers haben einen massiven Einfluss auf mich gehabt. Kinder heutzutage haben wahrscheinlich ihre stilprägende Serie, über die sie im Jahr 2035 schwärmen können - jedoch nehme ich, ganz subjektiv, die damaligen Unterhaltungsprogramme als ein größeres Phänomen wahr. Erfunden wurde das Ganze damals nicht - die Ehre wird den 80er-Kindern mit Serien wie He-Man zu Teil. Dieses Entertainment-Paket - Serien, Filme, Comics und Spielsachen - lassen sich heutzutage kaum noch finden. Es war wie der Rest des Jahrzehnts ein Lebensgefühl, das so nicht mehr zurückkommen wird. So ist der Lauf der Dinge und ich freue mich, ein Teil davon gewesen sein zu dürfen. Immerhin kann ich ja mit einem natürlich leicht verfälschten Blick auf die 90er zurückschauen. Dieser Blick zurück wirkt gleichermaßen seltsam nahe und doch ewig weit entfernt.

Eines steht fest: Damals gab es die besten Werbungen!

Aber wie kommt das? Viel hat mit der Technologie zu tun, die unser Leben mittlerweile bestimmt. Seit damals (tm) hat sich viel getan, unsere Welt wurde vernetzter, direkter und wenn man denn so will auch kleiner. Der Schritt von 1995 zu 2015 ist gigantisch, der von 2005 zum heutigen Tag jedoch überschaubar. iPhones, YouTube und soziale Medien gab es vor 10 Jahren schon. Der Unterschied zwischen den Epochen könnte ein ausschlaggebender Grund sein, warum sich 90er-Jahre-Retro so stark anfühlt. Leute wie ich, die damals aufgewachsen sind und sozialisiert wurden, sind noch in einer etwas anderen Welt aufgewachsen. Ohne das Internet hat die Welt größer gewirkt, Trends haben mindestens ein Jahr gebraucht, bis sie von den USA zu uns geschwappt sind. Kommunikation war schwieriger und keineswegs mobil und das Medienangebot hing davon ab, was im Fernsehen lief und was der Elektronikfachmarkt unseres Vertrauens lagernd hatte. Ohne den Realitätsabgleich, den wir heute mühelos Tag für Tag machen können, war unsere Realität schlichtweg anders. Die Realität von 2005 hingegen ähnelt der jetzigen hingegen halbwegs.
In der Soziologie gibt es den schönen Begriff der Kohorte, der eine Gruppe von Menschen mit einem ähnlichen Erfahrungsschatz beschreibt. Ich glaube, das "Leben ohne Internet" trägt zur Bildung einer Kohorte massiv bei. Natürlich trifft das auch auf ältere Semester zu, die 90er-Kids haben jedoch den Siegeszug der Vernetzung und der mobilen Technologien direkt mitbekommen. Wir sind ohne Smartphones und YouTube aufgewachsen, wurden vom Internet jedoch noch stark genug geprägt, um als "digital Natives" durchzugehen. Wir sind Kinder zweier Welten. In der "alten Welt" wirkten die Dinge einfacher - verständlich, schließlich waren wir Kinder und hatten keine Ahnung, was in der Welt wirklich abging. Wenn dein größtes Problem nicht das politische Geschehen, sondern welche Turtles-Figur du dir zum Geburtstag wünschen sollst ist, wirkt die Welt etwas freundlicher.

Also, 90er-Kinder - wie geht es euch mit dem Blick zurück auf das Jahrzehnt? Wie geht es den jüngeren und älteren Semestern unter euch damit?
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